Die Lebensgeister sind nach dem Aufwachen noch nicht geweckt, aber von einem geruhsamen Schlafzustand kann auch nicht mehr die Rede sein. Schlaftrunkene Menschen befinden sich in einem verwirrten Zustand zwischen Wachheit und Schlafen.
Es kam schon vor, dass Betroffene aufgrund der Verwirrung in ihren Kleiderschrank urinierten, weil sie dachten, es wäre ihre Toilette. Andere wiederum können in der Phase wild um sich schlagen, was besonders für Schlafpartner wenig angenehm ist. Das Repertoire an Verhaltensweisen bei Schlaftrunkenheit kann sehr vielseitig sein.
Was genau steckt hinter dem Phänomen? Welche Ursachen kommen für die noch wenig bekannte Schlafstörung infrage, welche Möglichkeiten der Behandlung gibt es und was kannst Du selbst dagegen tun? Hier bekommst Du alle Informationen über Schlaftrunkenheit.
Was ist Schlaftrunkenheit?
Schlaftrunkenheit (engl.: „Confusional Arousals“) klingt im ersten Moment so, als hätten wir eine Nacht zum Tag gemacht. Und am nächsten Morgen, wenn der Wecker klingelt, benötigen wir etwas Zeit, bis wir alle unsere Sinne wieder beisammenhaben und aufstehen können. Eine lange oder durchzechte Nacht hat jedoch nichts mit Schlaftrunkenheit zu tun.
Schlaftrunkenheit beschreibt einen wirren Dämmerzustand nach dem Aufwachen mit reduzierter Leistungsfähigkeit und Desorientierung bezüglich unseres Zeit- und Ortsempfindens. Obwohl Schlaftrunkene einen wachen Eindruck machen, ist ihre Bewusstseinswahrnehmung getrübt. Sie führen Handlungen aus, die für Angehörige zielgerichtet wirken – auch wenn sie fälschlicherweise in den Kleiderschrank urinieren.
Schlaftrunkenheit gehört zu den Parasomnien
Die Schlafstörung zählt im Bereich der Schlafmedizin zu den Parasomnien. Es handelt sich dabei um rätselhafte Phänomene und unerwünschte Verhaltensweisen, die im Schlaf auftreten. Beispiele für Parasomnien sind u. a. Schlafwandeln (Somnambulismus), Zähneknirschen (Bruxismus), Nachtschreck (Pavor nocturnus), nächtliches Einnässen (Enuresis nocturna) oder Reden im Schlaf (Somniloquie).
Schlaftrunkenheit kann sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern auftreten. Es handelt sich dabei um eine Aufwachstörung, die auch als Arousalstörung bezeichnet wird. In den meisten Fällen tritt sie in der Tiefschlafphase auf, im sogenannten Non-REM-Schlaf. Daher zählt die Erkrankung auch zu den Non-REM-Parasomnien.
Werden Betroffene in dieser Schlafphase zu schnell aus dem Schlaf gerissen, treten für eine gewisse Zeit Orientierungsstörungen, Benommenheit und konfuse Verhaltensweisen auf. Der Zustand kann manchmal 10 bis 30 Minuten andauern. Schlaftrunkenheit kann aber auch aus einem (Mittags-) Schlaf am Tag heraus auftreten.
Charakteristisch für die Schlafstörung ist, dass Betroffene sich nur schwer aus dem Zustand wecken lassen. Auf ein ruhiges Ansprechen reagieren sie in der Regel nicht. Es kommt eher vor, dass sich der verwirrte Zustand im Bett durch Ansprechen oder Aufweckversuche noch weiter verstärkt. Die meisten Schlaftrunkenen können sich nach dem richtigen Aufwachen und bei vollem Bewusstsein an ihr merkwürdiges Verhalten erinnern.
Häufigkeit der Parasomnie
Schlaftrunkenheit scheint keine seltene Störung zu sein. Trotzdem gehört die Parasomnie noch zu den eher unbekannteren Phänomenen der Schlafforschung. Sie tritt bei etwa 17 Prozent der Kinder bis zum 13. Lebensjahr und bei vier Prozent der Erwachsenen auf. Sie kommt also relativ häufig bei Kindern vor. Einen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt es hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens nicht.
In einer US-amerikanische Studie untersuchten Schlafforscher etwa 19.000 US-Bürger zu ihren Schlafgewohnheiten, Alkohol-, Drogen- und Medikamentenkonsum und anderen bestehenden Erkrankungen. Bei 15,2 Prozent der Befragten gab es mindestens eine Episode von Schlaftrunkenheit in einem Jahr, bei über der Hälfte von ihnen trat das Phänomen mindestens einmal pro Woche auf.
Das Ergebnis zeigt, dass in den USA wahrscheinlich etwa jeder Siebte von Schlaftrunkenheit betroffen ist. Das legt die Vermutung nahe, dass auch hierzulande die Häufigkeit etwas höher ist, als bislang geschätzt.
Schlaftrunkenheit: Ursachen und Auslöser
Die Ursachen für Schlaftrunkenheit sind nach wie vor unklar. US-amerikanische Schlafforscher der Universität in Standford stellten in einer Studie fest, dass bei 70 Prozent der schlaftrunkenen Menschen Insomnien oder Hypersomnien als Begleiterkrankungen auftreten. Bei Insomnien handelt es sich um Ein- und Durchschlafstörungen, bei Hypersomnien besteht eine ausgeprägte Tagesschläfrigkeit.
Auch Schlafstörungen wie eine schlafbezogene Atemstörung mit Atemaussetzern in der Nacht (Schlafapnoe-Syndrom) oder schlafbezogene Bewegungsstörungen wie unruhige Beine in der Nacht (Restless-Legs-Syndrom) waren im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufiger vorhanden.
Bei etwa 37 Prozent der Betroffenen in der Studie wurden psychische Störungen, z. B. Depressionen oder bipolare Störungen, festgestellt. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass bei 99 Prozent der Schlaftrunkenen gleichzeitig psychische oder organische Erkrankungen vorliegen.
Auslöser für Schlaftrunkenheit
Auslösende Faktoren für die seltene Parasomnie können Schlafstörungen sein, die unseren Tag-Nacht-Rhythmus durcheinanderwirbeln wie z. B. Schichtarbeit. Auch ein Schlafentzug oder Störungen innerhalb der natürlichen Schlafphasen können ein verwirrtes Aufwachen bedingen. Als weitere Auslöser für Schlaftrunkenheit kämen Medikamente, Drogen und Alkohol infrage.
Schlaftrunkenheit: Symptome
Häufig beginnt die Episode der Schlaftrunkenheit mit einem lauten Schrei und heftigen Bewegungen. Das gleiche Symptom tritt auch typischerweise bei der Parasomnie Pavor nocturnus, dem Nachtschreck, auf. Menschen, die unter Schlaftrunkenheit leiden, wachen in einem verwirrten und dämmernden Zustand aus dem Non-REM-Schlaf, insbesondere dem Tiefschlaf auf.
Schlaftrunkene befinden sich in einer 30- bis 60-minütigen Phase des Erwachens, in der ihr Bewusstsein weitestgehend im Schlummermodus zu sein scheint. Trotzdem führen sie rege Aktivitäten und unsinnige Dinge aus. Ihr Bett verlassen sie dabei jedoch selten. Betroffene wirken verwirrt, wie betrunken, orientierungslos, sprechen schleppend und zeigen teilweise ein unkontrollierbares Verhalten. Neben Orientierungsstörungen können auch Gedächtnisstörungen und eine eingeschränkte kognitive Leistungsfähigkeit bestehen.
Aus dem morgendlichen Taumelzustand lassen sich Schlaftrunkene nur schwer aufwecken. Die deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) spricht sich dennoch dafür aus, dass nahestehende Angehörige Betroffene behutsam aufwecken sollten, damit sie nicht den Arbeitsbeginn verschlafen.
Schlaftrunkenheit: Wann zum Arzt?
Solltest Du trotz ausreichenden Schlafs morgens schlaftrunken aufwachen, liegt eine Parasomnie vor. Die Schlaftrunkenheit kann ein Hinweis auf eine andere körperliche oder psychische Erkrankung sein. Bemerkst Du bei Dir ein wirres Erwachen, wäre es empfehlenswert, einen Arzt aufzusuchen, um mögliche zugrunde liegende Erkrankungen und Schlafstörungen wie z. B. Depressionen, Schlafapnoe, Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen oder Insomnien auszuschließen bzw. abzuklären.
Schlaftrunkenheit: Diagnose
Für die sichere Diagnose Schlaftrunkenheit wird bei Patienten eine Polysomnographie mit Video in einem Schlaflabor durchgeführt. Damit können Schlafmediziner eine Differentialdiagnose durchführen und die Schlaftrunkenheit von anderen REM-Parasomnien wie z. B. Schlafwandeln oder Pavor nocturnus abgrenzen.
Die umfangreiche Polysomnographie wird auch als großes Schlaflabor bezeichnet und umfasst verschiedene Untersuchungen zur Messung bestimmter Parameter im Schlaf. Dazu gehören z. B.:
- Messung der Hirnströme durch ein Elektroenzephalogramm (EEG)
- Messung der Herzaktivität durch ein Langzeit-Elektrokardiogramm (EKG)
- Kontrolle der Augenbewegungen während des Non-REM-Schlafs und REM-Schlafs durch ein Elektrookulogramm (EOG)
- Messung der Muskelaktivität durch ein Elektromyogramm (EMG)
- Nasale und orale Atemflussmessung
- Langzeit-Blutdruckmessung
- Beobachtung und Aufzeichnung der Schlafaktivität durch eine Videokamera
Schlaftrunkenheit: Therapie und Tipps für den Alltag
Schlaftrunkenheit gilt als harmlose Parasomnie, die im Normalfall keine Behandlung erfordert. Eine spezifische Behandlung für Schlaftrunkenheit gibt es bisher auch gar nicht. Schlafmediziner empfehlen daher ihren Patienten, auf eine gute und gesunde Schlafhygiene zu achten, möglichst feste Schlafzeiten für einen harmonischen Tag-Nacht-Rhythmus einzuhalten und Entspannungsmethoden zu lernen und anzuwenden. Es sind also eher präventive (vorbeugende) Maßnahmen, die bei dieser Schlafstörung zum Einsatz kommen.
Wie Du für eine bessere Schlafhygiene sorgen kannst, erfährst Du in dem Artikel: „Schlafhygiene – Die besten Tipps für einen gesunden Schlaf“.
Besteht der Verdacht oder ein möglicher Zusammenhang zwischen Schlaftrunkenheit und einer psychischen Störung wie z. B. einer Depression oder bipolaren Störung, wäre eine Psychotherapie in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie empfehlenswert.
Medikamentöse Behandlung
In seltenen Fällen wird auch eine medikamentöse Behandlung bei Schlaftrunkenheit in Betracht gezogen, z. B. wenn die Parasomnie sehr häufig auftritt und der Leidensdruck sehr hoch ist.
Anwendung finden dann sogenannte Benzodiazepine. Dabei handelt es sich um beruhigende und angstlösende Medikamente, die in der Medizin bei Angststörungen und Schlafstörungen eingesetzt werden. Sie verkürzen die Tiefschlafphase (Non-REM-Schlaf). Das kann helfen, weil Schlaftrunkenheit besonders oft auftritt, wenn Betroffene aus dieser Schlafphase gerissen werden.
Benzodiazepine dämpfen unser zentrales Nervensystem und sollten nur zur kurzfristigen Therapie eingesetzt werden. Es besteht die Gefahr, dass Patienten schon nach wenigen Wochen eine schnelle Toleranz und Abhängigkeit entwickeln.
4 Tipps für den Alltag zum Wachwerden
Möchtest Du morgens schneller und fitter aus dem Bett kommen, dann kannst Du Deine Schlaftrunkenheit aktiv bekämpfen. Der Psychologe und Schlafforscher Hans-Günter Weeß ist Vorstandsmitglied der DGSM und gibt ein paar Ratschläge, wie Du in Zukunft besser in die Gänge kommen kannst.
- Sport und Bewegung helfen Dir dabei, Dein Herz-Kreislauf-System in Wallung zu bringen. Dadurch kommst Du schneller in die Gänge und kannst die Schlaftrunkenheit aktiv bekämpfen.
- Kalte Duschen oder Wechselduschen aktivieren ebenfalls das Herz-Kreislaufsystem und machen Dich frischer und wacher.
- Helles, natürliches Licht hemmt die Bildung des Schlafhormons Melatonin. Dadurch werden wir nicht müde. In den Wintermonaten können spezielle Tageslicht-Lampen hilfreich sein. Es wurde festgestellt, dass bereits 30 Minuten in der Nähe einer solchen Lampe uns wacher machen.
- Vorfreude ist die schönste Freude und hilft uns auf psychologische Art dabei, besser aus dem Bett zu kommen. Denke also morgens einfach an Dein persönliches Highlight des Tages.