Mit offenen Augen schlafen? Ja, das scheint es zu geben, auch wenn es schwer vorstellbar und eigentlich nicht gewollt ist, denn schließlich hat der Lidschluss während des Schlafens einen Sinn. Geschlossene Augenlider sollen unsere Augen auch in der Nacht vor Schmutz, Staub und Fremdkörpern sowie vor dem Austrocknen schützen.
Was aber steckt dahinter, wenn Menschen mit offenen Augen schlafen und die Lider nicht schließen können? In der Medizin lautet der Fachbegriff für dieses Phänomen Lagophthalmus. Die möglichen gesundheitlichen Beschwerden, die dazu führen, sollten in jedem Fall Ernst genommen und abgeklärt werden.
Welche Ursachen und Symptome mit der Beschwerde zusammenhängen, wann Du besser zum Arzt gehen solltest und wie ein Lagophthalmus behandelt werden kann, erfährst Du hier.
Was ist Lagophthalmus?
Mediziner*innen der Neurologie oder Augenheilkunde sprechen von einem Lagophthalmus, wenn ein Lidschluss nur unzureichend und nicht aktiv herbeigeführt werden kann. Es handelt sich dabei eher um ein Symptom als um ein eigenständiges Krankheitsbild. In der Folge kann es manchmal auch zu einer Verbreiterung der Lidspalte kommen.
Aus dem Griechischen lässt sich der Begriff Lagophthalmus mit „Hasenauge“ übersetzen. „Lagos“ steht für „Hase“ und „Ophthalmus“ für „Auge“. Man fragt sich jetzt natürlich zurecht, was denn ein Hase mit einem unzureichenden Lidschluss zu tun hat. Der Zusammenhang stammt noch aus einer Zeit, in der irrtümlich angenommen wurde, dass Hasen niemals, weder am Tag noch in der Nacht, die Augen schließen.
In den meisten Fällen ist bei einem Lagophthalmus ein Auge und nur selten beide Augen von dem unvollständigen Lidschluss betroffen. Wenn Menschen „mit offenen Augen schlafen“, bedeutet es jedoch nicht, dass die Augen weit aufgerissen sein müssen. In der Regel sind die Augen nur einen kleinen Spalt geöffnet und die schlafende Person nimmt die Umgebung auch gar nicht bewusst wahr.
Warum müssen wir überhaupt die Augen schließen, wenn wir schlafen?
Die Augenlider übernehmen wichtige Schutzfunktionen. Der Lidschluss verhindert, dass die Augen austrocknen und sorgt dafür, dass von außen keine Fremdkörper, z.B. Schmutz oder Staub, eindringen können. Während wir tagsüber regelmäßig mit den Augen blinzeln und die Augäpfel so mit Tränenflüssigkeit befeuchten, schließen wir normalerweise die Augen in der Nacht und bedecken sie konstant mit einem Tränenfilm.
Der Schutz vor Austrocknung ist deshalb so wichtig, weil zu trockene Augen u.a. einen guten Nährboden für Infektionen darstellen.
Auch sorgen geschlossene Augenlider für Dunkelheit während wir schlafen. Dadurch können Gehirn und Körper entspannen und sich auf die wichtigen Aufgaben während des Schlafs konzentrieren.
Physiologisch geöffnete Augen beim Schlafen: REM-Schlaf, Kinder und Babys
In den meisten Fällen liegt keine medizinische Ursache vor, wenn wir mit offenen Augen schlafen. Kleine Babys und Kinder dösen oft vor sich hin und erreichen die Tiefschlafphase (Non-REM-Phase) gar nicht. Die Augen können dann leicht geöffnet und die Augäpfel in Bewegung sein. Das ist ein physiologischer und ungefährlicher Zustand, der nicht lange anhält.
Auch in der Traumschlafphase oder auch REM-Phase des Schlafs bewegen wir die Augen, daher stammt auch die englische Bezeichnung Rapid-Eye-Movement. Beim REM-Schlaf können die Augen ebenfalls einen kleinen Spalt geöffnet sein, was wir aber gar nicht bemerken.
Lagophthalmus: Ursachen
Bei einem Lagophthalmus besteht die Hauptursache für die Unfähigkeit, unsere Augenlider zu schließen, in einer Verkürzung oder Lähmung (Parese) des siebten Hirnnervs, dem sogenannten Nervus facialis. Die Verkürzung oder Lähmung des Facialisnervs beeinflusst den ringförmigen Augenmuskel Musculus orbicularis oculi, der kreisförmig unsere Augen umgibt und die Lidspalte einschließt. Er ist für die mimischen Bewegungen, den Lidschluss sowie für die Verteilung der Tränenflüssigkeit verantwortlich.
Bei einer Fazialisparese ist daher kein Lidschluss mehr möglich und Betroffene leiden darunter nicht nur in der Nacht, sondern auch tagsüber. Die Augen werden dadurch trocken und brennen. In der Neurologie unterscheiden Mediziner*innen zwischen drei Formen der Fazialisparese:
- Idiopathische Fazialisparese: Die Ursache für die Lähmung ist unbekannt.
- Periphere Fazialisparese: Die Lähmung im Versorgungsbereich des Gesichtsnervs betrifft die peripheren Nervenbahnen.
- Zentrale Fazialisparese: Hier liegt eine Störung im Gehirn (im motorischen Kortex) vor, die die Gesichtslähmung mit fehlendem Augenlidschluss hervorruft.
Entzündungen der Lidränder
Eine weitere häufige Ursache für Lagophthalmus ist eine sogenannte Blepharitis. Dabei handelt es sich um eine Entzündung am Lidrand. Eine Blepharitis ist eine recht häufig auftretende Erkrankung und geht mit Augenbrennen, verkrusteten Lidrändern, Schwellungen und Fremdkörpergefühlen in den Augen einher.
Die Ursachen für eine infektiöse Lidrandentzündung sind Bakterien (Staphylokokken), Viren (Herpes-simplex-Virus) oder Filzläuse. Der Grund für die Blepharitis kann aber auch in einem gestörten Talgabfluss aus den Talgdrüsen (Meibom-Drüsen) liegen, die verstopft sind. Talgdrüsen befinden sich an den oberen und unteren Lidrändern. Sie produzieren ein fetthaltiges Sekret, das die Augen vor dem Austrocknen bewahren soll. Sind die Drüsen verstopft, werden die Augen trocken und beginnen zu jucken.
Eine Blepharitis unterscheidet sich von anderen Entzündungen der Augenlider darin, dass bei der Blepharitis in der Regel der gesamte Rand des Augenlids betroffen ist, während bei anderen Entzündungen nur ein Teil des Rands in Mitleidenschaft gezogen wird, wie z.B. bei schmerzhaften Gerstenkörnern oder Hagelkörnern.
Ursachen für Lagophthalmus im Überblick:
- Idiopathische Fazialisparese (Lähmung ohne bekannte Ursache)
- Periphere Fazialisparese (Lähmung eines Gesichtsnervs)
- Zentrale Fazialisparese (Lähmung aufgrund einer Störung im Gehirn)
- „Bell“-Lähmung mit plötzlich auftretendem Schwächegefühl im Gesicht aufgrund eines geschwollenen oder eingequetschten Gesichtsnervs
- Fehlstellungen des Augenlids (Ektropium)
- Vernarbungen mit einer Verkürzung der Augenlider
- Verletzungen, Operationen
- Verstopfte Talgdrüsen (Meibom-Drüsen-Dysfunktion)
- Tumore
- Entzündungen der Augenlider (Blepharitis, Lidrandentzündung)
- Schlaganfall (Apoplex)
- Krankhaft hervortretende Augen (Exophthalmus) mit Öffnung der Lidspalte
- Schlafparalyse mit geöffneten Augen und Lähmungen am Körper
- Wachkoma (apallisches Syndrom) mit massiven neurologischen Schäden
- Autoimmunerkrankungen (z.B. Morbus Basedow, Sjögren-Syndrom)
- Infektionen: Mumps, Polio, Windpocken, Leprabefall, Lyme-Borreliose, Diphtherie, Botulismus
Lagophthalmus: Symptome
Offene Augen durch einen unvollständigen Lidschluss führen dazu, dass das Auge nicht mehr ausreichend mit Tränenflüssigkeit benetzt werden kann. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung der Hornhaut (Cornea) und in der Folge trocknen die Augen aus. Augenärzt*innen sprechen bei einer Austrocknung der Hornhaut und Bindehäute (Konjunktiva) von einer Xerophthalmie.
Typische Symptome bei Lagophthalmus sind:
- Brennen der Augen
- Trockene Augen (Xerophthalmie, Sicca-Syndrom)
- Trockenheits- und Fremdkörpergefühl in den Augen
- „Bell“-Phänomen (Drehung des Augapfels nach oben in Richtung Schläfe)
- Fehlender Lidschlag schränkt den Abfluss der Tränenflüssigkeit aus den ableitenden Tränenwegen ein
- Tränenträufeln (Epiphora) mit Auslaufen von Tränenflüssigkeit über die Lidränder
- Positives Wimpernzeichen, d.h. die Betroffenen können ihre Wimpern trotz maximalen Lidschlusses sehen
Erstsymptome: Wie bemerken wir einen Lagophthalmus?
Woran erkennen wir überhaupt, dass wir mit offenen Augen schlafen? Am nächsten Morgen nach dem Aufwachen könnten einige Zeichen darauf hindeuten, dass wir mit halb offenen Augen geschlafen haben.
Morgens können unsere Augen trocken, stark gerötet und gereizt sein. Bei jeder Augenbewegung fühlt es sich so an, als ob ein Sandkorn im Auge wäre und kratzt. Nach dem Wachwerden können wir manchmal zunächst nur verschwommen sehen. Typisch ist außerdem auch eine Lichtempfindlichkeit und wir fühlen uns einfach unausgeschlafen, schlapp und müde.
Lagophthalmus: Komplikationen
Erfolgt bei einem Lagophthalmus keine ärztliche Behandlung, können ernsthafte Beschwerden und Folgeerkrankungen daraus resultieren. Es handelt sich bei einem fehlenden Lidschluss meistens um keine vorübergehende Beschwerde, die von alleine wieder verschwindet.
Komplikationen die ohne Behandlung auftreten könnten:
- Verlust des Sehvermögens
- Wiederkehrende, häufige Infektionen der Augen
- Chronische Entzündungen, chronische Blepharitis
- Hornhautentzündung (Keratitis)
- Schädigung der Hornhaut
- Geschwüre der Hornhaut
- Trockenes Auge (Xerophthalmie, Sicca-Syndrom)
- Verletzung der äußeren Schicht des Auges
- Schlafstörungen (Insomnien) mit Tagesmüdigkeit und reduzierter Konzentrations- und Leistungsfähigkeit
Lagophthalmus: Wann zum Arzt?
Hegst Du den Verdacht, dass Du möglicherweise mit offenen Augen schläfst, solltest Du einen Augenarzt oder eine Augenärztin konsultieren und die Beschwerden besprechen. Ein nächtlicher Lagophthalmus bedarf in der Regel einer medizinischen Behandlung. Auch wenn Du eine Art Fremdkörpergefühl im Auge empfindest oder ständig Staub oder Schmutz im Auge landet, wäre ein Besuch in einer Augenarztpraxis empfehlenswert.
Eine Schwellung und starke Rötung in den Augen könnte auf eine Entzündung oder bakterielle Infektion hinweisen. Die Infektion sollte therapiert werden, damit keine weiteren Komplikationen auftreten. Juckende Augen, Schmerzen, Veränderungen des Lidschlags, Verfärbungen an der Netzhaut und Beeinträchtigungen des Sehvermögens sind weitere Anzeichen, die eine Abklärung nötig machen.
Sollte plötzlich die Gesichtsmuskulatur schlaff herabhängen und Gesichtslähmungen auftreten, sollte sofort medizinische Hilfe geholt werden. Bei einseitigen Lähmungen könnte sich auch ein Notfall wie z.B. ein Schlafanfall dahinter verbergen, der schnellstmögliche Hilfe erfordert.
Lagophthalmus: Diagnose
Deine erste Anlaufstelle zur Abklärung der Beschwerden wird eine Augenarztpraxis sein. Bei einem ausführlichen Erstgespräch berichtest Du zunächst von den Beschwerden, der Augenarzt oder die Augenärztin wird weitere Symptome abklopfen und sich auf Spurensuchen für die Ursache begeben. Im Anschluss an die Anamnese folgt dann die körperliche Untersuchung der Augen.
Bei der Inspektion wird geschaut, wie die Augenlidhaut aussieht, die Lidbeweglichkeit und die Lidstellung ist. Der Lidschluss wird überprüft, die Lidspalte bei einem Lidverschluss bestimmt und das sogenannte Bell-Phänomen überprüft.
Beim Bell-Phänomen handelt es sich um einen physiologischen Schutzreflex der Augen, bei dem es zu einer Aufwärtsrotation des Augapfels während des Lidschlusses kommt. Durch die Bewegung möchte das Auge die empfindliche Hornhaut schützen. Bei vollständig geschlossenen Lidern kann der Vorgang von außen nicht gesehen werden, bei einem unvollständigen Lidschluss wie bei einer Fazialisparese hingegen schon.
Augenerkrankungen können die ersten Vorboten einer Erkrankung des zentralen Nervensystems sein. Besteht der Verdacht auf eine neurologische Erkrankung, z.B. eine periphere Fazialisparese oder eine zentrale Fazialisparese, wirst Du eine Überweisung in eine Facharztpraxis der Neurologie ausgestellt bekommen.
Lagophthalmus: Behandlung
Die Behandlung eines Lagophthalmus ist sehr wichtig, weil eine Selbstheilung nicht eintreten wird. Kann der Augenarzt oder die Augenärztin die Ursache für den Lagophthalmus rechtzeitig diagnostizieren, kann der fehlende Lidschluss in der Regel gut behandelt werden.
Basis der Therapie ist dann die Behandlung der Grunderkrankung. Als Therapiebausteine können eine medikamentöse Behandlung und / oder chirurgische Eingriffe zum Einsatz kommen.
Medikamentöse Therapie
Eine große Bedeutung bei der Behandlung eines Lagophthalmus bekommt die Befeuchtung der Augen. Dafür können regelmäßig Augensalben und künstliche Tränen als Augentropfen verwendet werden. Bei einer bakteriellen Infektion, z.B. einer Hornhautentzündung (Keratitis) oder auch bei Geschwüren werden Antibiotika in Form von Augensalben oder Augentropfen eingesetzt.
Uhrglasverband in der Nacht
In der Nacht gestaltet es sich eher als schwierig, die Augen regelmäßig mit Flüssigkeit zu versorgen. Hilfe bietet dann ein sogenannter Uhrglasverband. Dabei handelt es sich um einen speziellen Augenverband, der bei Augenoperationen, Infektionen, bei dem Sicca-Syndrom oder eben auch zur Befeuchtung der Augen während der Nacht eingesetzt werden kann.
Der Uhrglasverband besteht aus einer durchsichtigen, gewölbten Plexiglaskappe und einem Heftpflaster. Die hermetische Abgeschlossenheit des betroffenen Auges beim Lagophthalmus verhindert das Eindringen von Staub, Schmutz und Keimen und schützt das Auge vor Austrocknung.
Operative Eingriffe
Bei einem fehlenden Lidschluss ist das oberste Ziel eines operativen Eingriffs, den Lidschluss wiederherzustellen. Dafür können verschiedene Verfahren Anwendung finden, wie z.B. das Einsetzen von Implantaten oder eine Tarsorrhaphie.
Implantate bei Fazialisparese
Liegt die Ursache für den Lagophthalmus in einer Lähmung der Gesichtsmuskulatur durch eine Fazialisparese, wird u.a. zu einem Implantat geraten. Es gibt Implantate aus Metall, die in das obere Augenlid eingeführt werden. Das Gewicht sorgt dann dafür, dass sich das Lid vollständig schließen kann.
Dieser mikrochirurgische Eingriff setzt direkt an den Wimpern des äußeren Lids an. Sichtbare Narben hinterlässt die Operation nicht und das Implantat ist so unauffällig, dass es nicht von Mitmenschen erkannt wird.
Tarsorrhaphie: Verkleinerung der Lidspalte
Eine sogenannte Tarsorrhaphie kann einen Lagophthalmus zu 75 % reduzieren. Das Verfahren kommt bei den verschiedenen Formen der Fazialisparese zum Einsatz. Bei dem Eingriff werden die Kanten der oberen und unteren Augenlider temporär vernäht.
Plastische Chirurgie: Fehlstellungen des Augenlids
Auch Fehlstellungen im Bereich der Augenlider können mittels operativer Verfahren behandelt werden. Dabei werden die Augenbrauen, das Ober- und Unterlid, die Lidwinkel und Tränenwege als Einheit betrachtet. Da es bei den Eingriffen zu ästhetischen Beeinträchtigungen kommen kann, wird auch die plastische Chirurgie mit in das chirurgische Konzept einbezogen.
Trockene Augen: 3 Tipps für den Alltag
Um das Austrocknen Deiner Augen zu verhindern, können die drei Tipps hilfreich sein und die Behandlung unterstützen:
- Luftbefeuchter im Schlafzimmer, um für ausreichend Feuchtigkeit in der Luft zu sorgen.
- Tragen einer Schlafmaske, um die Augen vor Reizungen zu schützen.
- Weiche Kontaktlinsen können die Augen ebenfalls vor Austrocknung schützen.