Reizüberflutung, Lärm, Ärger, Leistungsdruck und körperliche Anstrengungen verlangen uns im Alltag einiges ab und wir reagieren mit Stress und Anspannung darauf. Dem können wir leider nicht immer ausweichen, umso wichtiger sind Phasen der Ruhe und Entspannung.
Die Kunst zum Relaxen geht uns jedoch immer mehr verloren. Wer Tag für Tag unter Strom steht, dem geht irgendwann die Puste aus, was sich in Form von körperlichen und psychischen Beschwerden bemerkbar machen kann.
Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, können wir zum Glück mit Entspannungsmethoden wie Autogenem Training lernen, stressige Zustände zu reduzieren und unseren Körper und Geist wieder in ein Gleichgewicht zu bringen.
Doch was steckt hinter der Entspannungstechnik? Wie wirkt sich Autogenes Training auf unseren Körper und unsere Psyche aus? Welche Übungen gibt es und was solltest Du beachten, wenn Du die Methode lernen möchtest?
Was ist Autogenes Training?
Autogenes Training, kurz AT, ist eine Entspannungsmethode, mit der wir durch die Kraft unserer konzentrierten Gedanken Anspannungen lösen und Stress abbauen können. Die spezielle Form der konzentrierten Selbstbeeinflussung wird auch als Autosuggestion bezeichnet.
Das Ziel des Autogenen Trainings ist es, einen Zustand von geistiger und körperlicher Gelassenheit zu erreichen, Entspannungsprozesse bewusst wahrzunehmen und Körper, Geist und Seele zu regenerieren. Unter Anleitung spezieller Übungen lässt die Muskelanspannung nach, die Glieder werden schwerer und die Durchblutung der Haut wird angeregt, wodurch sich eine wohltuende Wärme im gesamten Körper entfaltet.
Der aus Berlin stammende Nervenarzt und Psychiater Johannes Heinrich Schultz (1884-1970) konzipierte das Entspannungsverfahren in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts und veröffentlichte die Methode 1932 in seiner Schrift „Das autogene Training“.
Das Prinzip seiner Entspannungstechnik basiert auf Erkenntnissen aus den Bereichen der Hypnose und Suggestion. Er beobachtete bei einigen seiner Patient*innen die Begabung, sich selbst in einen hypnoseartigen Zustand zu bringen und dabei tief zu entspannen. Und genauso soll Autogenes Training funktionieren: Mit der Kraft unserer Gedanken manövrieren wir uns in eine entspannte Stimmung und kommen zur Ruhe.
Wie funktioniert Autogenes Training?
Das Grundprinzip des Autogenen Trainings beruht auf Autosuggestion, schließlich sind Körper und Psyche eng miteinander verknüpft und können sich gegenseitig beeinflussen. Mithilfe unserer Gedanken und Vorstellungskraft konzentrieren wir uns nacheinander auf einzelne Körperbereiche und erspüren dort Wärme, Schwere oder ein Gefühl der Ruhe. Dazu sprechen wir dann formelhafte Sätze und stellen uns die Zustände möglichst bildhaft vor.
Bei der Entspannungstechnik handelt es sich um eine Art Selbsthypnose. Wir regen mit unseren eigenen Gedanken das vegetative, autonome Nervensystem an, wodurch sich eine entspannende Wirkung auf die Nerven und auf das Kreislaufsystem entfaltet. Wir entspannen mental und auch körperlich, weil unsere Muskulatur gelockert wird.
Die zwei Stufen des Autogenen Trainings: Grund- und Oberstufe
Beim Erlernen des Autogenen Trainings wird zwischen zwei übergeordneten Stufen unterschieden. Es gibt die Grund- und die Oberstufe, die aus bestimmten Übungen bestehen. Früher gab es auch noch eine Mittelstufe mit verschiedenen Organübungen.
Die Grundstufe ist das Fundament des Autogenen Trainings. Auf der Ebene werden Autosuggestion und Entspannung trainiert und dafür stehen Dir sechs Übungen zur Verfügung.
Die vom Psychiater. H. Schultz ursprünglich für Ärzte entwickelte Oberstufe hingegen stellt eine analytische Therapieform dar, die verschiedene psychoanalytische Techniken nutzt. Es geht in der Oberstufe u. a. um die Gestaltung vor und nach einer psychoanalytischen Behandlung. Inzwischen sind dafür verschiedene Methoden mit vielen unterschiedlichen Übungen entstanden.
In der fortgeschrittenen Oberstufe können sieben bis neun Vorsatzformeln gelernt werden, die uns in einen ganzkörperlichen meditativen Ruhezustand und in eine Tiefenentspannung versetzt.
Eine Anleitung zu den Übungen findest Du im letzten Abschnitt dieses Artikels.
Autogenes Training: Wirkung auf Körper und Psyche
Beim Autogenen Training entspannt nicht nur der Körper mit der Kraft unserer Gedanken, sondern auch die Psyche. Wir bekommen einen klaren Kopf und können uns besser konzentrieren.
Wirkung von Autogenem Training durch regelmäßiges Üben:
- Reguliert bestimmte Körpervorgänge, z.B. Pulsschlag, Blutdruck, Atmung, Durchblutung.
- An- und Entspannen der Muskeln.
- Löst Ängste und Verspannungen.
- Reduziert Stress und sorgt für innere Ruhe und Entspannung.
- Fördert die Resistenz gegenüber Stress.
- Unterstützt beim Einschlafen und fördert einen gesunden Schlaf.
- Steigert die Konzentration und mentale Stärke.
- Fördert das Selbstwertgefühl und emotionale Stabilität.
- Erhöht die Lebensqualität.
- Sorgt für eine beruhigende Wirkung auf Körper und Psyche.
Autogenes Training: Anwendungsgebiete
Die Entspannungstechnik hat sich besonders bei psychischen Erkrankungen und psychosomatischen Störungen als hilfreich erwiesen. Im Fokus stehen stressbedingte Beschwerden und Folgeerkrankungen, die aus dauerhaften Stresszuständen resultieren können.
Wenn wir trotz großer Erschöpfung einfach keine Ruhe und Entspannung finden, können die verschiedenen Übungen unsere innere Balance wiederherstellen und für eine körperliche und mentale Tiefenentspannung sorgen.
Autogenes Training kann eigenständig zur Behandlung bestimmter Beschwerden eingesetzt werden oder begleitend im Rahmen einer ganzheitlichen Therapie.
Anwendung bei körperlichen Beschwerden:
- Chronische Schmerzen
- Verspannungen, Verkrampfungen (Spasmen)
- Rückenschmerzen, Schulter-Arm-Syndrom
- Schlafstörungen
- Kopfschmerzen und Migräne
- Erkrankungen der Atemwege, z.B. Asthma
- Verdauungsstörungen, z.B. Magengeschwüre
- Herzerkrankungen, z.B. Herzenge (Angina pectoris), Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen
- Harnwegsbeschwerden, z.B. Reizblase, Bettnässen
- Neurologische Erkrankungen, z.B. Morbus Parkinson
Anwendung bei psychischen Beschwerden:
- Psychische Belastungen, Stress
- Begleitend bei Depressionen
- Ängste, Phobien (Flug- und Platzangst)
- Burnout-Syndrom
- Begleitend bei Suchterkrankungen, z.B. Essstörungen, Alkohol-, Medikamenten- oder Drogensucht
- Geburtsvorbereitung zur Angstminderung
- Innere Unruhe
- Konzentrationsschwierigkeiten
Autogenes Training: Kontraindikationen und Nebenwirkungen
Autogenes Training entfaltet nachweislich eine positive Wirkung auf Körper und Seele. Trotzdem ist die Entspannungsmethode und Meditation für manche Menschen nicht geeignet.
Bestehen z.B. psychische Probleme wie Depressionen, stark ausgeprägte Ängste, Zwangserkrankungen, Wahnvorstellungen oder Persönlichkeitsstörungen, darf Autogenes Training nicht ausgeübt werden, weil sich die Zustände dadurch verschlimmern können. Auch bei einer bestehenden Neigung zu Ohnmachtsanfällen wird von dem Training abgeraten.
Ob Autogenes Training eine geeignete Methode für Dich ist, kannst Du auch mit Deinem Hausarzt besprechen.
Autogenes Training: Wo kannst Du die Entspannungstechnik lernen?
Autogenes Training oder auch die Progressive Muskelentspannung werden immer beliebter, um dem stressigen Alltag und den daraus entstehenden möglichen gesundheitlichen Beschwerden Paroli zu bieten. In Volkshochschulen, Sportvereinen und Praxen können Kurse belegt werden.
Es wird empfohlen, sich zu Beginn von einem erfahrenen Trainer, Arzt oder Psychologen in einem Kurs anleiten zu lassen.
Die Grundstufe des Autogenen Trainings könntest Du aber auch in Eigenregie in den eigenen vier Wänden erlernen und üben. Dafür stehen Dir eine große Auswahl an Büchern oder Online-Kursen für die einzelnen Übungen zur Verfügung. Für die fortgeschrittene Oberstufe solltest Du aber besser einen Therapeuten zur professionellen Anleitung hinzuziehen.
Autogenes Training: Übernehmen Krankenkassen die Kosten?
Die Kosten für Autogenes Training hängen unter anderem davon ab, wo Du einen Kurs belegst. Eine Einzelsitzung liegt bei etwa 25 bis 40 Euro und für einen fortlaufenden Kurs mit 10 Sitzungen musst Du mit Kosten zwischen 150 und 300 Euro rechnen.
Viele gesetzliche Krankenkassen unterstützen inzwischen das Training als präventive Maßnahme und bezuschussen die Kurse. Wie hoch der Anteil letztendlich liegt, hängt von Deiner Krankenkasse ab.
In vielen Fällen werden maximal 80 Prozent der Kosten erstattet, manchmal auch bis zu 150 Euro pro Kurs.
Autogenes Training: Anleitung und Übungen
Um in einen entspannten Zustand für Körper und Geist gleiten zu können, arbeitet das Autogene Training mit Vorstellung und Suggestion in Verbindung mit Selbstwahrnehmung. Mithilfe suggestiver Wiederholungen bestimmter Gedanken konzentrieren wir uns außerdem auf die Atmung, um körperliche und psychische Vorgänge zu beeinflussen.
Das Erlernen von Autogenem Training erfordert Disziplin und sollte regelmäßig geübt werden. Die tiefe Atmung unterstützt Heilungsprozesse und fördert die Tiefenentspannung. Mit der Zeit baut sich Stress ab und zwanghaft negative Gedanken werden von den körperlichen Begleiterscheinungen gelöst.
Tipps vor den Übungen:
- Disziplin: das stufenweise Erlernen der Übungen dauert einige Wochen. Im Idealfall führst Du zu Beginn die Übungen regelmäßig 3x täglich für mindestens 5 - 10 Minuten durch. Fortgeschrittene trainieren 2x täglich 5 Minuten. Am besten erstellst Du einen festen Zeitplan für eine Routine.
- 3 Körperpositionen: auf dem Rücken liegend mit Stützkissen für Nacken und Knie (Liegehaltung), angelehnt sitzend auf einem Sessel und mit Fußsohlen fest auf dem Boden (Lehnstuhlhaltung) oder sitzend in der Droschkenkutscherhaltung auf der Kante eines Stuhls mit vorgebeugtem Oberkörper, aufliegenden Ellenbogen auf den Oberschenkeln und gesenktem Kopf.
- Umgebung: entspannungsfördernd, ruhig und vertraut sollte die Umgebung sein. Du benötigst als einziges Utensil eine weiche Yogamatte.
- Kleidung: wie bei Übungen aus dem Yoga, Tai-Chi oder der Meditation sollte die Kleidung atmungsaktiv und weit sein.
- Wiederholung: die einzelnen Sätze der Übungen werden drei- bis sechsmal still im Geiste wiederholt oder ausgesprochen.
Übungen der Grundstufe mit autosuggestiven Formeln:
1. Ruhe-Übung: „Ich bin ganz ruhig“
Die Ruhe-Übung leitet den Beginn des Trainings ein und fördert die innere Ruhe. Als Formel könntest Du „Ich bin ganz ruhig“ wiederholt denken oder leise aussprechen. Diese Übung kannst Du auch immer zwischen anderen Übungen einbauen.
2. Schwere-Übung: „Mein Arm ist schwer“ oder „Meine Arme und Beine sind schwer“
Das Ziel der Schwere-Übung ist es, dass angespannte Muskeln erschlaffen und wir einen Zustand der allgemeinen Beruhigung erreichen. Die Konzentration richtet sich auf das Körpergewicht, das an den Boden abgeben werden soll.
Als Anfängerin richtest Du die Aufmerksamkeit zunächst auf nur einen Körperteil und wanderst dabei von einem Körperteil zum nächsten oder gehst jede Muskelgruppe durch. Dabei wiederholst im Gedanken „Mein rechter Arm (oder linker Arm) ist schwer“ oder „Mein rechtes Bein (oder linkes Bein) ist schwer“.
Im fortgeschrittenen Stadium kannst Du dann größere Körperpartien zusammenfassen oder alle Gliedmaßen gleichzeitig in einen angenehmen Zustand der Schwere versetzen: „Meine Arme und Beine sind schwer“, könnte dann die Formel sein.
3. Wärme-Übung: „Mein Arm ist warm“ oder „Meine Arme und Beine sind warm“
Die Wärme-Übung führst Du genauso durch wie die Schwere-Übung. Übungssätze wären in diesem Fall: „Mein rechter Arm (oder linker Arm) ist ganz warm“ oder „Mein rechtes Bein (oder linkes Bein) ist ganz warm“ oder „Meine Arme und Beine sind ganz warm“, „Mein Körper ist ganz warm“.
Mit der Wärme-Übung soll per Autosuggestion die Durchblutung angeregt werden und ein wohliges, warmes Gefühl im gesamten Körper entstehen.
Fortgeschrittene verknüpfen die Schwere- und Wärme-Übung miteinander und würden dann folgenden Satz verwenden: „Meine Arme und Beine sind warm und schwer“.
4. Atem-Übung: „Meine Atmung ist ruhig und gleichmäßig“
Mit der Atem-Übung kannst Du die Atmung vertiefen, ausgleichen und bewusst erleben. Die Atemzüge werden ruhig und gleichmäßig. Atem-Übungen sorgen auch bei Meditationen und anderen Entspannungstechniken für Entspannung und Ruhe.
Beim Autogenen Training formulierst Du hier die Übungsformel: „Meine Atmung ist ganz ruhig und gleichmäßig“. Bei dieser Übung konzentrierst Du Dich auf die Atmung und beobachtest diese, ohne den Vorgang zu erzwingen.
5. Sonnengeflechts-Übung: „Mein Bauch ist strömend warm“
Bei dieser Übung konzentrieren sich Deine Gedanken auf die Entspannung in den Verdauungsorganen. Die Sonnengeflechts-Übung soll unseren Stoffwechsel und die Verdauung unterstützen sowie Anspannungen lösen.
Eine mögliche Formel könnte lauten: „Das Sonnengeflecht ist strömend warm“ oder „Mein Bauch ist strömend warm“. Bei der Übung soll der Bereich um den Solarplexus durchblutet werden, weshalb die Übung auch als Solarplexus-Übung bezeichnet wird.
Der Solarplexus ist ein autonomes Nervengeflecht des vegetativen Nervensystems, welches sich in unserem Oberbauch befindet. Am Solarplexus spüren wir viele Emotionen wie Ängste, Wut, Lampenfieber oder auch die berühmten „Schmetterlinge im Bauch“. Daher wird der Bereich auch als „Bauchhirn“ bezeichnet.
6. Herz-Übung: „Mein Herz schlägt ruhig und regelmäßig“
Bei der Herz-Übung richtest Du Deine Aufmerksamkeit auf das Herz und nimmst bewusst seine Funktion wahr. Als Formel könntest Du „Mein Herz schlägt ruhig und gleichmäßig“ verwenden. Der Herzschlag soll sich mit dieser Übung beruhigen und die Pulsfrequenz messbar senken.
7. Kopf-Übung: „Meine Stirn ist angenehm kühl und klar“
Die Kopf-Übung soll im Alltag dazu beitragen, dass wir überlegter handeln, Probleme und Stress besser erkennen und lösen können. Sie soll mehr Leichtigkeit in unsere Gedanken bringen.
Es soll sich aber kein richtiges Kältegefühl einstellen, sondern vielmehr eine angenehm frische Brise gespürt werden, die um den Kopf weht.
Gedanklich kannst Du bei der Kopf-Übung folgenden Satz formulieren: „Meine Stirn (oder mein Kopf) ist angenehm kühl und klar“.
8. Letzte Übung: Rücknahme „Arme fest! Atmung tief! Augen auf!“
Mit den verschiedenen Übungen wollen wir in einen veränderten (hypnotischen) Bewusstseinszustand eintauchen. Am Ende des Trainings wird dieser Zustand wieder aufgehoben und Du kehrst in die Wirklichkeit, in einen normalen Wachzustand zurück.
Ein formelhafter Vorsatz für die sogenannte Rücknahme könnte lauten: „Arme fest! Atmung tief! Augen auf!“. Nun spannst Du die Muskeln an, ballst die Fäuste, schlägst mit den Fäusten auf die Schultern, rekelst und streckst Dich und öffnest die Augen. Wiederhole die Vorgänge drei-bis fünfmal, bis Du Dich frisch und munter fühlst.
Führst Du das Autogene Training zur Beruhigung vor dem Einschlafen durch, lässt Du die letzte Übung einfach aus.
Übungen der Oberstufe: Wach-Traum-Technik und autogene Imagination
Die zweite Phase des Autogenen Trainings sollte am Besten von einem Psychotherapeuten begleitet werden. Sie eignet sich gut für Fortgeschrittene, die ihr Autogenes Training optimieren möchten. Die Übungen der Oberstufe sollen das Verhalten beeinflussen und erschließen dafür unbewusste Bereiche.
Bei der analytischen Oberstufe sollst Du mit der sogenannten Wach-Traum-Technik in Deiner Vorstellung Bilder hervorbringen, die anschließend in das Bewusstsein gelangen, um reflektiert werden zu können. In der Psychotherapie wird das Konzept angewendet, um die Selbsterkenntnis zu vertiefen, Konflikte besser zu bewältigen und Lösungen umzusetzen.
Mit der Zeit haben sich verschiedene Methoden der Oberstufe entwickelt. So gibt es auch Formen wie die autogene Imagination, die ganz ohne Formeln auskommt. Hier soll zunächst ein Stimmungsbild gemalt und ein Text geschrieben werden, um Tagträume festzuhalten.